Interview Kerstin B.

August, 2020

Mein Name ist Kerstin, ich bin 37 Jahre jung und wohne seit meiner Geburt in Steyr.
Hier wohne ich mit meinem Mann und meinem Sohn in einem liebevoll hergerichteten Reihenhaus.

Im Jänner 2019 habe ich eine leicht erhabene Stelle beim Brustbein in der rechten Brust gespürt. Mein damaliger Frauenarzt spürte es leider nicht und obwohl meine Schwester ebenfalls Brustkrebs hatte, war es daher nicht mehr der Rede wert. Keine Mammografie – nichts.

Einige Monate später war ich bei meinem Hausarzt, der mir zu einer Mammografie riet. Den Termin dafür hatte ich am 30. September – der Tag der mein Leben veränderte. Ich hörte, wie der Arzt zu einer Patientin, die vor mir an der Reihe war, sagte: “Es tut mir leid, aber …” Als ich an der Reihe war, musste ich den gleichen Satz-Beginn hören: “Es tut mir leid …” Ich konnte nicht mehr zu Weinen aufhören, bin auf mein Fahrrad gestiegen und so richtig schnell nach Hause gefahren. Dort angekommen, habe alles meinem Mann erzählt, der mich ganz fest in den Armen gehalten hat und meinte: “Alles wird gut – wir schaffen das!”

Zum Zeitpunkt der Diagnose war ich 36 Jahre alt.

Krebs ist nicht im normalen Blutbefund erkennbar. Ich mache jedes Jahr im April meine Gesundenuntersuchung, da war auch nichts auffällig. Ich war allerdings sehr oft erkältet – mein Sohn schleppt ständig etwas vom Kindergarten mit nach Hause. 

  1. Meine erste Diagnose nach der Mammographie lautete bösartiger Tumor mit Metastasen, da einer 1,8 cm groß war und die anderen vier Tumore 1 cm Durchmesser hatten. Nach der Biopsie war dann der Histobefund ganz anders.
    Her 2 neu neg., G3, 100% Östrogen, 90% Progesteron abhängig, 30% Zellteilung. Man hat mir erklärt, bis 25 Mib braucht man keine Chemo – also wurde mir die Entscheidung überlassen. Beim folgenden Beratungsgespräch wurde mir ein junger “Mr. Cool” vor die Nase gesetzt, der mir bei meiner Entscheidung keine Hilfe war. Jeder zweite Satz war „das ist cool“ – das fanden mein Mann und ich aber nicht.

    Mein Mann war mir immer eine große Hilfe und hat mich zu allen Untersuchungen begleitet. Ich habe dann auch damit angefangen meine Diagnose zu googeln, was auch hilfreich für mich war. Dabei konnte ich herausfinden, dass meine Diagnose nicht ohne ist und es sich nicht nur um Brustkrebs handelt, der gleich wieder heilbar ist, sondern, dass es da schon eine positive Einstellung zum Leben braucht. An dem Tag, als es hieß ich brauche einen Port für die erste Chemo, hab ich alles erst so richtig wahrgenommen.
    Anfangs habe ich viel geweint und immer an meinen Mann und meinen Sohn gedacht. Das konnte doch noch nicht mein Leben gewesen sein – mein Kind war damals gerade erst vier Jahre alt geworden. Meine Heulattacken habe ich so gut es ging in die Nacht verlagert. Meine Arbeit als Fachsozialbetreuerin in der Altenarbeit habe ich mit 19. Oktober mit Krankenstand beendet. Meine Kolleginnen sind nicht nur Kolleginnen, sondern herzliche, mitfühlende Menschen, die mit mir weinten, lachten und meinen riesen Schmerz mitlebten – das war mir dann doch zuviel.

    Am 12. November 2019 bekam ich dann meinen Port in Narkose, am 13. November 2019 die erste Paclitaxel Chemo und anschließend jeden Freitag für elf weitere Wochen Chemos. Anfangs habe ich in der Brustambulanz bei den BHS total reagiert, hatte Atemnot, bekam einen hochroten Kopf und Krampfanfälle.
    In meinem Leben war plötzlich alles anders und ich habe mich meiner Therapie so positiv hingegeben, dass ich mit lachen und wenig weinen alles über mich ergehen ließ und mich oft selbst nicht mehr kannte. Nach der ersten Chemo habe ich mir von meinem Mann eine Glatze schneiden lassen, die mir so gut stand, dass ich auch diese Erfahrung positiv wegsteckte.

    Die zwölf Chemos waren sehr gut zu verkraften. Wir sind als Familie immer eine Runde im Wald spazieren gegangen – so schnell ich konnte, denn wir hatten auch immer viel zu reden. Mein Mann war dabei nie negativ eingestellt. In der ganzen Zeit der Therapie und auch jetzt ist nie ein negatives Wort gefallen. Angst um mich hat er trotzdem, denn er sagt schon, dass er nie ohne mich sein möchte.
    Unsere Beziehung dauert bereits 22 Jahre und wir sind am 11. Oktober seit 17 Jahren verheiratet. Das was wir jetzt erleben müssen, verbindet einfach noch mehr und wir sehen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Mein Sohn hat mir auch die Kraft gegeben immer wieder aufzustehen.

Mein Leben nach der Diagnose hat sich ins Positive verändert – ich bin glücklicher und schaue auf mich.

Nach meiner Diagnose habe ich allen, bei denen ich ein gutes Gefühl hatte, erzählt, dass ich Krebs habe. In der Familie sind wir wieder mehr zusammengekommen – was richtig gut tut. Alle sind besorgt und haben mich aufgebaut. Ich habe meinen Geschwistern gesagt, dass ich sie liebe – das hätt ich vorher nie gemacht, da ich in einem Trot lebte. Arbeit, Haushalt, Familie – und wenn von dir nichts kommt, dann kommt auch von mir nichts. Es ist immer ein Geben und Nehmen gewesen, dabei ist es so gut, wenn ich zu meinen Lieblingsmenschen “Ich liebe dich!” sage.
Manche Arbeitskolleginnen sind auch sehr gute Freundinnen, die mich mit Gesprächen immer unterstützt haben. Am schlimmsten ist es gewesen, als ich meiner Mama und meinem Papa davon erzählen musste. Meine Eltern sind 75 Jahre alt und selbst nicht mehr so gesund.

Wie schon erwähnt ist mein Mann dem Ganzen immer sehr positiv gegenüber gestanden. Mein Mann leidet eher im Stillen. Was ich sicher weiß ist, dass er mich total liebt und die Vorstellung ohne mich auskommen zu müssen total schmerzhaft für ihn ist.

Die Chemophase hat unsere Ehe noch mehr vertieft. Mein Mann hat noch mehr Arbeit im Haushalt übernehmen müssen – dabei ist uns auch bewusster geworden, dass nicht alles immer zu 100 Prozent perfekt sein muss.

Die meiste Unterstützung bekam ich von meinem Mann und meiner Schwiegermutter. Aber im Ganzen waren alle, die ich brauchte, wenn ich mit meinem Sohn alleine war und angerufen habe, zur Stelle. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ja, aber nur im positiven Sinne, denn ich habe bemerkt, dass ich wahre Freundinnen habe, was mir nie so aufgefallen ist. Das ist alles nicht mehr so selbstverständlich.

Eigentlich nicht, nur dazu gewonnen.

Stark bleiben und Durchhaltevermögen beweisen. Kleine Kinder haben auch ihren eigenen Kopf und der muss überall durch. Dabei habe ich schon mal ans Aufgeben gedacht, da das der einfachere Weg gewesen wäre. Aber es gibt ja auch die schönen Kuschelzeiten, die der Seele richtig gut tun und diese Gedanken wieder verschwinden lassen. Durch meinen Sohn habe ich mich auch nicht hängen lassen können und das war gut so. Ich bin froh wie es ist, so bin ich nicht ins Grübeln gekommen. 

Die größte Herausforderung waren die Stunden zu meistern in denen mein Mann in der Arbeit war. In dieser Zeit haben wir sehr viel “Mensch ärgere dich nicht” gespielt und wir waren jeden Tag an der frischen Luft. Außerdem waren wir ein paar Tage mit Oma, Opa, Tante und Onkel im Ski-Urlaub, das war richtig schön.

 

Wir haben kein Geheimnis daraus gemacht, da ja auf uns drei eine große Veränderung zugekommen ist. Mein Sohn hat hier viel mitbekommen, denn er ist total liebesbedürftig geworden.

Ich war zweimal bei der Krebshilfe ( www.krebshilfe.at ). Das Gespräch war sehr gut, ich habe aber bemerkt, dass ich mit meiner Diagnose gut zurecht komme.

Etwas nachsichtiger, offen und ehrlich zu sein. Wenn es an manchen Tagen nicht so rund läuft, gibt es auch mal Fast Food.

Es hört sich jetzt an als wäre ich bescheuert, ich hab die Zeit als Auszeit von allem gesehen, vieles mehr schätzen und noch mehr lieben gelernt. Ich habe manche Dinge – wie die Arbeit und das Putzen – nach hinten gereiht und den Perfektionismus abgelegt.

Gute Frage! Ich habe dem Krebs in mir nie eine Rolle gegeben. Ernst genommen, ja – und realisiert an manchen Tagen. Ich habe ihn aber nie so recht akzeptiert.

Krebs hat viele Facetten – ich sehe ja auch in der Arbeit Leute daran sterben. In der Familie haben wir auch schon liebe Menschen an die Krankheit verloren. Also für mich ist der Tod nur eine Frage der Zeit.

So genau kann ich es nicht sagen. Angefangen hat bei mir das Ungleichgewicht mit der Hormonspirale und das habe ich jetzt schon von vielen Frauen mit der Diagnose gehört.

Ja, nachdem Krebs mittlerweile als chronische Krankheit eingestuft und das Leben mit vielen Mitteln schon sehr verlängert wird.

Letztlich hatte ich beides, da das gesamte Tumor-Areal im Ganzen 10 cm groß war.

Anfangs dachte ich, das stehe ich wahrscheinlich nicht durch. Wie soll das mit Kind gehen? Schaffe ich es ihm seinen Alltag mit Kindergarten usw. zu ermöglichen? Wird mir nur schlecht und unwohl sein?

Jetzt da ich die Chemo überstanden habe kann ich sagen, dass der Eindruck durch Filme usw. ein völlig falsches Bild macht. Es ist sicher kein Leichtes mit so viel Gift im Körper zurechtzukommen und dass sich auch so einiges im Körper verändert. Der Geschmack verändert sich bei mir z.B. stark – das ist immer wieder eine Herausforderung beim Kochen. Und man wird vergesslicher (Chemobrain). Es gibt total viele Nebenwirkungen, die von Körper zu Körper anders sind. Im Krankenhaus wird darauf sehr gut reagiert und mit Medikamenten dagegen gesteuert. Was einem gut tut, merkt man selber ganz schnell. Ich brauchte nicht viel, für mich stand im Vordergrund, dass die Übelkeit gut behandelbar war.

Bestrahlung habe ich von Anfang an nicht als so schlimm empfunden. Es wurde mir gesagt, dass meine Haut nach der OP sehr dünn sein wird und dass es zu Komplikationen kommen kann – wie zum Beispiel, dass das Silikon hart werden kann oder dass die Haut verbrennen oder löchrig werden kann und dadurch Infektionen entstehen können.
Eine Freundin hat mich mit ihrem Wissen als Wundmanagerin total gut unterstützt und ich habe bei der Bestrahlung mit ihren empfohlenen Produkten auf eigene Initiative geschmiert, was meiner Brust sehr geholfen hat. Und ich muss staunen, wie schön sie geblieben ist. Das einzig mühsame waren die täglichen Termine um 7.00 Uhr früh, bei denen jeweils 50 Minuten Fahrzeit auf der Strecke geblieben sind. Aber das ist schlussendlich auch egal.

Ich hatte keine Vorstellung dazu, es war aber bis auf die anfängliche große Müdigkeit wirklich ein Spaziergang.

Die Behandlung war wie eine Prüfung fürs weitere Leben bei der man an seine Grenzen geht und herausfindet, wieviel der Körper aushält. Über mein Frausein habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, liegt wahrscheinlich an der überwiegend positiven Einstellung.

Es könnte schlimmer sein. FKK mache ich nicht, aber ich bin viel selbstbewusster geworden. Vor dem Krebs waren sie mir immer zu klein, jetzt wäre es mir lieber sie wären wie vorher. Nach der OP war die Akzeptanz sehr schwer – ich hatte Schmerzen, kein Gefühl und bangte, ob die Warze durchblutet ist. Womit ich noch umgehen lernen muss ist, dass der Brustmuskel über dem Implantat liegt. Jetzt zieht sich bei Bewegung das Implantat unten raus – das fühlt sich komisch an.

Nein, nicht gravierend. Meine Haare sind lockiger – ich hatte vorher immer glattes Haar. Durch die Anti-Hormontherapie für die nächsten fünf Jahre habe ich schon starke Gelenkschmerzen – vorwiegend in den Fingern. Ja und das mit dem steigenden Gewicht ist auch nicht so prickelnd – ich versuche mich viel zu bewegen.

Dass mein Körper nicht mehr alles mitmacht. Seit der Hormontherapie bin ich mit der Beweglichkeit etwas eingeschränkt und die Schmerzen in den Fingern sind auch mit Schmerzmitteln nicht wegzubekommen.

Ich habe mich gegen Ende der Chemo um Permanent-Make-Up bei den Augen umgesehen und bin auf die total liebenswerte und einfühlsame Julia Mock (www.juliamock.at/) gekommen, die mein Aussehen zum Positiven verändert hat. Obwohl den Großteil der Kosten die ÖGK übernimmt, hat sie keinen Cent dafür angenommen. Bei den Augenbrauen hatte ich mir vor dem Krebs schon was machen lassen, das hat sie mir alles ausgebessert. Nicht jeder ist so talentiert und mit Herzblut dabei und das braucht es auch in dieser Branche.

So wie ich mich jetzt im Spiegel sehe, fühle ich mich wohl. Es ist mir egal was andere sagen oder denken. Ich kenne meine Geschichte und die hat mich positiv gestärkt und selbstbewusst gemacht

Das Schlimmste ist das falsche Vertrauen in den Arzt der dich am intimsten kennt, und nicht in sich selber zu haben.

Das Schönste ist es, zu Lernen, wie wichtig es ist, dass man gesund ist und andere Werte im Leben zu bekommen.

Natürlich begrüßt man solch eine schlimme Diagnose nicht. Andererseits wäre ich noch immer in der Spirale, dass ich alles plane und von nichts abweiche, gefangen. Somit lebe ich jetzt schon leichter.

Dass ich meinen Sohn nicht aufwachsen sehe. Beim Sterben die letzten Stunden meines Besuchs nicht mitbekomme – und was ist nach dem Tod? Die Vorstellung ist sehr schwierig für mich.

Während der Therapie hatte ich keine Angst, denn sie ist mir ja eine Hilfe gewesen, dass das Leben weitergeht.

Mir im Vorhinein klar, dass ich Schulmedizin annehme und dabei bleibe. Bei den Chemos darf man sich nicht einfach zusätzlich selbst komplementär behandeln – es gibt so viele Wechselwirkungen. Zwei weitere Damen und ich hatten dieselbe Chemo und die gleiche Diagnose – also ein gutes Beispiel: Eine von ihnen hat viel Geld in komplementärmedizinische Maßnahmen investiert und hatte viele Nebenwirkungen. Sie hat mich immer bewundert, dass es mir so gut geht. Das soll aber nicht negativ auf andere wirken, die viel davon halten. Mir persönlich waren solche Dinge nie wichtig.

Nein, ich habe nicht immer alles geschluckt was mir verschrieben wurde. 

Das meiste Vertrauen habe ich zu meinem Hausarzt, bei dem ich seit über 34 Jahren bin. Die Beziehung – so nenne ich sie mal – ist auf einer anderen Ebene von Verständnis und Mitgefühl. Was mir gar nicht gefiel, war der ständige Wechsel der Onkologen von Woche zu Woche – und die Unstimmigkeit, die sich daraus ergeben hat.

Ja, der wurde aufgrund der Brustkrebserkrankung meiner Schwester gemacht. Der Test war in allem negativ.

Keine. Hab mich damit nicht auseinandergesetzt. Reicht schon die Diagnose an sich.

Heute geht es mir soweit gut. Die Frage nach dem “Wie lange geht es mir gut?” kommt erst nach der Therapie, aber das geht auch vorbei.

Ich will damit zeigen, dass es auch andere Seiten und Erfahrungen gibt. Dass alles, auch mit Kleinkind, zu schaffen ist und die positive Einstellung das wichtigste im Leben ist.

An den Bildern soll man erkennen, wie glücklich ich bin mein Leben zu haben – auch, wenn der Körper nicht perfekt ist.

Das Shooting war am Anfang total fremd und Neuland. Alleine schon wegen der ganz neuen Erfahrung mich von einer Visagistin stylen zu lassen. Auch das Fotografieren, zuerst mit und dann mit weniger Klamotten, war zu Beginn komisch. Mit der Zeit wurde ich immer lockerer und ich hab mich mit Ines total wohl gefühlt. Es hat mir viel Selbstbewusstsein gegeben und die Rückmeldungen waren echt positiv.

Nehmt das Leben an. Es ist schön wie es ist. Hört auf euer Gefühl und bleibt positiv.

Es gibt auf Facebook eine tolle Gruppe (Brustkrebs Österreich) – in dieser habe ich viele tolle Frauen kennengelernt. Dadurch, dass wir so viele waren und unterschiedlich alt sind, haben sich mittlerweilen sieben Freundschaften entwickelt.
Wir haben jetzt eine WhatsApp Gruppe – die “Pink Ladies”. Wir verstehen uns alle sehr gut, schreiben täglich, lassen einander an unserem Leben teilhaben und reden auch über Intimes. Wir sind wahre Powerfrauen!

Trigger Warnung

Diese Website behandelt das Thema Brustkrebs und beinhaltet neben persönlichen Schilderungen von Krebspatienten professionell erstelltes Bildmaterial, auf dem nackte Brüste und OP-Narben zu sehen sind.